Bei ebay immer noch erste Liga

Der einstige Norddeutsche Fußballmeister Borussia Harburg / von Uwe Wetzner

28. August 2013, 15:01 Uhr

Das waren noch Zeiten: Borussia Harburg schlägt im Oktober 1913 Werder Bremen (gestreifte Stutzen) mit 2:1 und belegt in der NFV-Verbandsliga Rang sieben. Werder steigt ab.

Im Herbst 1905 ist der Aufstieg der ehemals beschaulichen Kleinstadt Harburg zum bedeutenden europäischen Industriestandort in vollem Gange. Um die Einfuhr und Verarbeitung von Palmöl und Kautschuk herum sind große Betriebe wie etwa die „Phoenix“ entstanden, die das noch zur preußischen Provinz Hannover gehörige Harburg zu einem frühen „global player“ machen. Dem Bau der vier heute noch bestehenden Seehafenbecken, die in den Schlick der Süderelbe gegraben werden, müssen erste Teile der Ortschaft Lauenbruch weichen.

Am entgegengesetzten Ende Harburgs sind ebenfalls historische Dinge ins Rollen gekommen. Unweit des Göhlbachtals befindet sich die Exerzierweide des in der Schwarzenberg-Kaserne liegenden „Pionier-Bataillon Nr.9 der Kgl. Preußischen Armee“. Auf der Drillwiese, an die heute nur noch der Straßenname „Am Exerzierplatz“ erinnert, wird gekickt.

Das ist nicht so einfach, wie es sich heutzutage anhört. Schon der Lederball ist ein kostbares Utensil. Im wilhelminischen Kaiserreich kaum zu bekommen, ist er zumeist ein begehrter Import-Artikel aus England, auf den es aufzupassen gilt. Wie auch die schicken „Jerseys“, schwarz-rot geringelte „Sweater“ und schwarze Hosen. Und vom „Umfeld“ einmal ganz zu schweigen. Große Teile der machthabenden und tonangebenden Klassen sind alles andere als fußballbegeistert. Noch nicht einmal so aufgesetzt und gekünzelt wie in unseren Tagen. Der „Aftersport“ oder wahlweise die „englische Krankheit“ muss hart kämpfen, um überhaupt ausgetragen werden zu können. In Harburg gegen den immer noch erbitterten Widerstand von Militärbehörde und Polizei, Turnverbänden und Bürgervereinen.

Pleite gegen Hamburger Klubs

Dabei sind die vom aus England eingeschleppten Fußball-Virus Befallenen ebenfalls zumeist „Bürgerliche“. Angehörige der im Zuge der Industrialisierung entstehenden „neuen Mittelschichten: Ingenieure, technisches Fachpersonal, technische und kaufmännische Angestellte, Architekten, Studenten oder Verwaltungsbeamte. Sie haben am 18.Juli 1904 in der Eißendorfer Gaststätte Uhde ihren FC Borussia Harburg gegründet. 1903 hatten sie noch mit Anderen gemeinsam Harburgs ersten Fußballklub, den FC Viktoria 1903 Harburg, aus der Taufe gehoben. Um sich dann schnell in die Haare zu kriegen und ihre Borussia „aufzumachen“. Harburg hat also auch in der Entwicklung der deutschen Vereinsmeierei offenbar eine wichtige Rolle gespielt.

An diesem Herbsttag 1905 wird das zweite Punktspiel der Borussia überhaupt gegen Alemannia Lüneburg ausgetragen. Ihre Premiere nach dem Beitritt zum Norddeutschen Fußballverband und zum DFB haben die (noch) Eißendorfer Jonuschat, Böttcher, Fischer, Bandow, Schulz, Sauer, Petersen, Georg Erdmann, Prehn, Appelt und Hogreve gegen Eintracht Lüneburg 3:1 gewonnen. Ein hoffnungsfroher Start ins neue Fußballleben, der nicht unbedingt zu erwarten gewesen ist.

Das erste Spiel überhaupt wird nach vorsichtiger Wieder-Kontaktaufnahme gegen die früheren Mitspieler vom FC Viktoria ausgetragen und verloren. 1907 wird sich der FC Viktoria dem FC Borussia dann anschließen. Weitere Begegnungen gegen die hamburgischen Klubs Favorite, Hammonia, St. Pauli Sport und Union folgen und gehen alle verloren.

Borussia eine Hausnummer im norddeutschen Fußball

Die Partie gegen Alemannia Lüneburg ist noch keine Viertelstunde alt, da kommt Harburgs stadtbekannter Gendarm Püster ins Spiel geritten. Er untersagt zunächst die Fortführung der „Fußlümmelei“, die lauter Löcher auf dem geheiligten Untergrund der Drillkoppel hinterlasse. Erst nach längerem Gebettel darf weitergekickt werden – aber nur heute und ausnahmsweise. Die wenigen Zuschauer werden die Zurschaustellung von Obrigkeit eher teilnahmslos begafft haben. Auf deutschen Fußballplätzen ist es zu dieser Zeit fast immer beinahe unnatürlich ruhig, wie eine vergleichende zeitgenössische Studie feststellt. Im Gegensatz zu England, wo die Zuschauer „einen fast unaufhörlichen Lärm“ machen und „verschiedentlich in ein wahres Geheul“ ausbrechen.

Verständlich, dass die Borussen die Faxen dicke haben und ihre Spiele fortan nur noch auswärts austragen. Entsprechend ernüchternd fällt die erste Saisonbilanz aus: Zwei Siege, zehn Niederlagen und ein Torverhältnis von 18:56.

Trotz erheblicher interner Probleme und einer nur knapp abgewendeten Auflösung des Vereins bleibt Borussia ein Pionier und entwickelt sich in den kommenden Jahren zum führenden Fußballklub Harburgs: Zunächst wird in der „Eißendorfer Schweiz“, auf der heutigen Jahnhöhe des HTB, ein eigenes Spielfeld angelegt, das mit einem Spiel gegen Germania Bremen eingeweiht wird. In der Marienstraße wird eine Geschäftsstelle eröffnet, eine Schreibmaschine angeschafft und eine eigene Vereinszeitschrift herausgebracht: „Der Borusse“.

Und die Spieltracht wird geändert: Die Borussen ziehen sich nun ein schwarzes Trikot mit rotem Brustwappen über. 1910 werden sie damit Meister von Nordhannover, 1913 gelingt die Qualifikation für die norddeutsche Verbandsliga, 1917 gar der Gewinn der Norddeutschen Fußball-Meisterschaft. Ein Titel, den daneben zwischen 1906 und 1933 überhaupt nur Victoria Hamburg, Eintracht Braunschweig, Altona 93, Holstein Kiel, Arminia Hannover und der HSV gewonnen haben. Borussia ist im norddeutschen Fußball eine Hausnummer geworden. Und die braucht ein entsprechendes Haus: Nach kurzem Zwischenspiel auf dem Sportplatz „Eichenhöhe“ errichtet der Klub 1910 seine erste eigene Heimspielstätte: Den Posthof in Heimfeld, dort, wo heute unmittelbar neben dem Sportplatz „Postweg“ die Friedrich-Ebert-Halle steht.

Schrumpfen zur Lokalgröße – Streichung aus dem Vereinsregister

Dauerhaft kann der FC Borussia seinen Rang als Platzhirsch in Harburg und Mitglied des deutschen Fußball-Oberhauses aber nicht halten. In Harburg läuft ihm der 1907 gegründete Rivale „Rasensport“ nach und nach den Rang ab. Dennoch bleiben die Borussen bis 1941 „Erstligist“, ehe sie als Vorletzter aus der „Gauliga Nordmark“ absteigen. 1949 folgt der erstmalige Sturz in die dritte Liga, der Beginn einer Berg- und Talfahrt auf immer niedrigerem Niveau.

Mit der zunehmenden Zentralisierung im deutschen Fußball nach Einführung der Bundesliga 1963 und dem stetigen Zufluss von immer mehr Geld schrumpfen Borussia und auch Rasensport zunehmend auf harburgische Lokalgröße. 1969 spielt Borussia immerhin noch in Hamburgs höchster Spielklasse, Rasensport ist nur noch einer von 44 hamburgischen Zweitligisten.
Am 12.März 1970 fusionieren beide Vereine zum Harburger Sportclub. Die damit verbundenen Träume von einer Wiederbelebung der Fußball-Tradition auf hohem Niveau erfüllen sich indes nicht. Die 1981 versuchte Wiederbelebung als FC Borussia 1981 Harburg hat nur einen kurzen Atem: 1988 wird der Nostalgieklub wieder aus dem Vereinsregister gestrichen.

Gänzlich vergessen ist der FC Borussia Harburg aber auch mehr als 40 Jahre nach seinem Aufgehen im HSC nicht: Vor kurzem erbrachte eine ebay-Auktion eines alten Vereinswappens kaum glaubliche 402,01 € – eine für Vereinsnadeln sonst so gut wie nie erreichte Summe. Sollte der Käufer dies lesen, setze er sich bitte mit dem Verfasser in Verbindung.

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