„Das hatte zum Schluss nichts mehr mit Fußball zu tun!“

Altona verpasst auf tragischste Art und Weise Regionalliga-Aufstieg

08. Juni 2016, 02:29 Uhr

Ein komplett leerer Blick bei AFC-Coach Berkan Algan (r.). Während seine Spieler fassungslos auf dem Rasen liegen. Foto: KBS-Picture.de

Blutleere Gesichter, Fassungslosigkeit und Tränen der Enttäuschung: Altona 93 ist auf bitterböse Art und Weise aus allen Regionalliga-Träumen gerissen worden! Zwei Elfmeter in der Nachspielzeit – ein höchst umstrittener im Spiel des AFC beim niedersächsischen Vize-Meister 1. FC Germania Egestorf-Langreder zugunsten der Hausherren – sorgten nicht nur für blankes Entsetzen, sondern auch für Wut und Ärger beim Algan-Ensemble. „Wenn zwei entscheidende Situationen nicht nur dieses Spiel entscheiden, dann müssen nicht nur wir uns über die Art der Gegentore Gedanken machen, sondern auch gewisse andere Leute, die auf dem Platz standen, und sich fragen sollten, ob sie nicht eventuell etwas falsch gemacht haben“, wusste sich AFC-Routinier Jakob Sachs noch relativ human auszudrücken.

Kemo Kranich versuchte alles, blieb aber glücklos. Foto: KBS-Picture.de

In Wirklichkeit stand aber auch dem regionalligaerprobten „Dauerrenner“ der Altonaer die Zornesröte ins Gesicht geschrieben. „So ist der Fußball! Schade nur, dass es zum Schluss leider nichts mehr mit Fußball zu tun hatte!“ Die erste Situation, die für Kopfschütteln beim Hamburger Vertreter sorgte, ereignete sich in Minute 27: An der eigenen linken Eckfahne stellte Laurel Aug seinen Gegenspieler, der urplötzlich zu Boden sank und einen Freistoß herausholte, der mehr als nur zweifelhaft war. Es sollte leider nicht der letzte unrühmliche Auftritt von Schiedsrichter Tim Skorczyk – gehört zu allem Überfluss dem niedersächsischen Fußballverband an (!) und wird beim entscheidenden Spiel des niedersächsischen Vize-Meister als Unparteiischer angesetzt – bleiben! Aus AFC-Sicht muss in der Folge jedoch kritisch angemerkt werden, dass Keeper Joshua du Preez am folgenden Freistoß vorbei segelte und Christoph Beismann am zweiten Pfosten weitestgehend ungehindert einköpfen konnte. Zwar versuchte Ronny Buchholz noch zu retten, was nicht mehr zu retten war, aber der Ball hatte bei dessen Kopfballabwehr die Linie wohl schon überschritten.

Ansonsten war von Egestorf in der Offensive rein gar nichts zu sehen. Stattdessen setzte Altona mit dem allerletzten Aufgebot – Benjamin Lipke, Nick Brisevac, Ricardo Balzis und Mustafa Hadid fehlten, dafür stand mit dem 35-jährigen Sven Barth ein Ersatztorhüter als Feldspieler auf dem Spielberichtsbogen – immer wieder gefährliche Nadelstiche. Kemo Kranich verpasste zweimal – von Sgedi und Brügmann in Szene gesetzt – nur um Haaresbreite (9., 20.), ehe Brügmann in eine Kranich-Hereingabe nicht konsequent genug den Schlappen reinhielt (45.). Nachdem die Algan-Bengel äußerst druckvoll in den zweiten Durchgang starteten, ergab sich Germania-Kapitän Marek Waldschmidt aus dem Nichts per Kopf urplötzlich die Chance auf das 2:0. Doch der „Hüne“ traf den Ball nicht voll (55.). Folglich spielte eigentlich nur noch eine Mannschaft Fußball. Mit purer Leidenschaft und allen Körnern, die noch im Tank waren, drängte Altona 93 auf den Ausgleich und schnürte Egestorf-Langreder tief in der eigenen Hälfte ein.

„Der schießt mir den Ball aus zwei Metern an die Hand“

Fast zeitgleich zu dem verhängten Strafstoß gegen Altona gab es in der Nachspielzeit beim Parallelspiel nach jenem Foulspiel ebenfalls Elfer für Eichede. Foto: KD

Die allergrößte Möglichkeit, die zwingend zum Ausgleich hätte führen müssen, ließ Philipp Körner ungenutzt, als er die Kugel nach einem Diagonalball von Aug und anschließender Direktabnahme von Hannes Niemeyer aus drei Metern über den Querbalken setzte (72.). Das hätte es sein müssen! 180 Sekunden vor Ultimo handelte sich Egestorfs Torben Engelking die Ampelkarte ein. Der AFC warf nun alles in die Waagschale – und wurde belohnt! Nach einem Sachs-Eckball von links und einem Tohuwabohu im Strafraum behielt Ronny Buchholz die Übersicht und drosch die Pille aus sieben Metern halbrechter Position unter die Latte – 1:1 (90.)! Unbändige Freude, grenzenloser Jubel, Ausnahmezustand im AFC-Fanblock! Doch dann das: Schiedsrichter Skorczyk sprach dem Gastgeber zunächst einen strittigen Freistoß tief in der eigenen Hälfte zu – Brügmann soll der Übeltäter gewesen sein, schirmte aber nur den Ball ab –, der von Schlussmann Straten-Wolf lang an den gegnerischen Sechzehner nach vorne geschlagen wurde. Nach einer Kopfballverlängerung wollte Andreas Baranek das Spielgerät von links quer ins Zentrum passen, Buchholz wehrte ab – und auf einmal ertönte mit kurzer Zeitverzögerung ein Pfiff. Elfmeter für Egestorf-Langreder! „Der schießt mir den Ball aus zwei Metern Entfernung an die Hand, die ich am Körper hatte. Ich will mich sogar noch wegdrehen“, konnte auch der eben noch gefeierte Defensivrecke kaum glauben, was gerade geschah. Germanias Beismann zeigte Nerven aus Stahl und verwandelte unter tosendem Jubel der Niedersachsen zum umstrittenen 2:1-Erfolg (90. +4)!

„Ich weiß nicht, womit wir oder der Verein das verdient haben“

Auch Philipp Körner war nach Schlusspfiff mit den Nerven am Ende. Foto: KBS-Picture.de

Dass der SV Eichede im Parallelspiel beim Stand von 1:1 nahezu zeitgleich ebenfalls einen Strafstoß zugesprochen bekam, den Arnold Lechler zum Sieg in die Maschen beförderte, ließ beim AFC alle Dämme brechen! Selbst die eigene Niederlage hätte für den Aufstieg gereicht, wenn es beim Remis im anderen Duell geblieben wäre. Buchholz: „Wir hätten den Sack schon vorher zumachen müssen, da wir dem Gegner – trotz unserer Verletztenliste – ja haushoch überlegen waren und ihn klar dominiert haben. Die wissen ja selbst nicht, wie sie dieses Spiel gewonnen haben. Ohne eine Torchance machen die zwei Tore“, so der 26-Jährige, der noch voller Adrenalin anfügte: „Das war eine absolute Grotten-Leistung vom Schiedsrichter! Der hat uns in allen Situationen benachteiligt und gegen uns gepfiffen.“ Während Berkan Algan komplett aufgelöst vom Platz marschierte, von den Altona-Fans anschließend aber noch frenetisch gefeiert wurde – genauso wie die gesamte Mannschaft –, erklärte Buchholz weiter: „Das ist absolut bitter – in diesem Jahr hatte Altona einfach kein Glück. Wir haben in keinem Spiel wirklich schlecht ausgesehen, haben den Bremer SV total dominiert und heute dasselbe. Auch gegen Eichede hätten wir früher das 2:0 machen müssen. Das ist der absolute Wahnsinn! Zum Glück ist jetzt Sommerpause. Ich hab auch echt die Schnauze voll. Der heutige Tag ist eine absolute Frechheit! Ich weiß nicht, womit wir oder der Verein das verdient haben. Der liebe Gott ist in diesem Jahr scheinbar kein Altona-Fan!“

„Hätte der Schiedsrichter gewisse Situationen anders bewertet, wären wir aufgestiegen“

Beim Torjubel verletzte sich Eichedes Arnold Lechler. Foto: KD

Die Mannschaft fiel mit Schlusspfiff bedröppelt zu Boden. Nur Jakob Sachs wähnte sein Team in der Regionalliga: „Mir wurde von einem Ordner erzählt, dass es bei Eichede 1:1 steht, woraufhin ich jubelnd auf die Mannschaft zugelaufen bin. Man kann keinen trösten, ich kann es einfach nicht fassen. Es ist unglaublich, einfach unfassbar. Wir waren dreimal relativ klar die bessere Mannschaft, haben dreimal kaum Chancen zugelassen und dann bekommen wir so blöde Tore. Hätte der Schiedsrichter gewisse Situationen anders bewertet, wären wir heute aufgestiegen. Der Mannschaft kann man keinen Vorwurf machen!“ Nichtsdestotrotz richtet der Routinier bereits den Blick in die Zukunft. „Jetzt müssen wir nach vorne schauen, die Pause zur Erholung nutzen und die Verletzten alle wieder an Bord bekommen. Bayern ist gegen Manchester vor einigen Jahren auch tragisch gescheitert und hat es dann im darauffolgenden Jahr geschafft. Ich hoffe, dass wir es auch packen werden. Heute sind wir eigentlich der verdiente Sieger!“ Coach Algan brachte kaum ein Wort heraus, fand aber kurz und knapp genau die richtige Einschätzung: „Das ist nicht fair!“

Der komplette LIVE-Ticker mit allen Höhepunkten zum Nachlesen!

Der entscheidende Elfmeter in der Nachspielzeit und der ekstatische Jubel!

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