Die unerträgliche Leichtigkeit des Fußballs

Fußball Club Lampedusa Hamburg

19. März 2015, 04:51 Uhr

Foto: Daniel Müller

Das Leben der Flüchtlinge, die über Lampedusa nach Hamburg kamen, ist alles andere als einfach. Eine notdürftige, wellblecherne Unterkunft, eine Zukunft, die fernab individueller Autonomie in Hamburger Senatssälen und der medialen Öffentlichkeit diskutiert wird und ein Dasein abseits jeden Gefühls von Heimat. Zumindest aber, wenn es um die schönste Nebensache der Welt geht, atmen auch die flüchtigen Afrikaner inzwischen unbeschwertere Hamburger Luft.

Nach langen Diskussionen über Spielerpässe und Sportverbände hat der Fußball Club Lampedusa eine Heimat in der vierten Division der Freizeitliga HFFG gefunden. Und immerhin dort ist das Leben der Flüchtlinge einfach – sogar zu einfach.

Es ist zwei Jahre her, als die etwa 300 Flüchtlinge von der italienischen Insel Lampedusa nach Hamburg kamen. Die Männer aus Ghana, Mali oder der Elfenbeinküste hatten zuvor in Libyen gearbeitet und waren vor dem Bürgerkrieg geflohen. Seitdem kämpfen die Afrikaner um Unterkunft, ein dauerhaftes Bleiberecht und nicht zuletzt ein Stück weit Lebensqualität. Dafür haben sie den FC Lampedusa gegründet. Der Fußball soll die Gedanken zumindest kurzfristig vom tristen Alltag ablenken, lässt sie zuweilen sogar träumen. „Die Jungs sind sich alle sicher, dass auch der FC Bayern keine Chance gegen sie hätte“, sagt Trainerin Gabriele Kröger, eigentlich für die Ü30-Damen des FC St. Pauli verantwortlich.

Vergessen durch Fußball

Hilfestellung gab der FC St. Pauli, der eine Trainingszeit und Freundschaftsspiele, etwa gegen den schottischen Flüchtlings-Club United Glasgow FC, organisierte. Nach dem Auszug aus der St. Pauli Kirche drohte der Verein zu zerfallen, doch fünf Frauen aus unterschiedlichen Abteilungen des Kiezklubs hielten ihn am Leben. Adoptivverein wurde der FC Hamburger Berg, eine Türsteher-Truppe, die sie ganz entgegen ihrer Berufsbeschreibung auf ihren Trainingsplatz einluden. Auch sonst sind die Flüchtlinge auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Die Organisation geschieht ehrenamtlich, die Ausrüstung wird gespendet. Am Anfangs standen Notwendigkeiten: ausgelaufene Schuhe etwa, oder alte Trikots von Ronaldinho und Co. Inzwischen laufen sie nicht nur in eigenen Trikots auf, sogar Fanartikel gibt es zu kaufen.

Mit einher ging ihr sportlicher Werdegang. Zu Beginn trainierten sie einmal pro Woche auf dem Ascheplatz, bestritten hier und da ein Freundschaftsspiel. Man war froh, als die Freizeitliga auf das Team aufmerksam wurde. „Wir haben es für absolut notwendig gehalten, sie zu unterstützen. Erst wollten wir das mit Materialien machen, aber dann dachten wir uns, dass ihnen viel mehr geholfen ist, wenn wir sie in unseren Spielbetrieb aufnehmen“, beschreibt HFFG-Funktionär Kay-Ole Schönemann den internen Prozess.

Doch auch die Hobbyliga stieß auf Hindernisse: Wie beim HFV bedürfe es Spielerpässen und Anschriften, schon um die Sportgerichtsbarkeit zu ermöglichen. Für die afrikanischen Flüchtlinge eine unüberwindbare Hürde. Da sie in Deutschland keinen legalen Status besitzen, können sie keine Pässe beantragen. Dazu argumentiert der DFB, dass auch in diesem Falle eine FIFA-Regelung gelte, nach der Spieler eine Freigabe des jeweiligen Heimatverbandes benötigen. „Eine absurde Regel, die vielleicht bei den Profis Sinn macht, aber doch nicht bei afrikanischen Flüchtlingen“, beklagt Betreuerin Hagar. Deshalb spielen sie außer Wertung. Zwar führt man die 4. Division nach der ersten Saisonhälfte souverän an, am Ende wird der Name FC Lampedusa in der offiziellen Tabelle jedoch nicht auftauchen.

Zu stark für Niko's Treff, Nordbölk und Co.

Foto: Daniel Müller

Ein Rückblick auf die erste Hinrunde des FCL im geregelten Spielbetrieb verdeutlicht dazu vor allem eins: Die Hobbykicker, die sich Niko's Treff, FB Nordbölk oder FC Holzmühlen-Eck nennen, sind den technisch versierten Afrikanern nicht gewachsen. Nach neun Spielen stehen neun Siege, das Torverhältnis beträgt 60:10. „Teamgeist und Verständigung“ nennt Rambo, der Spielführer mit den Dreadlocks und der Zehn auf dem Rücken, als Gründe des Erfolgs, fügt aber mit weniger Pathos hinzu: „Unsere Gegner sind nicht schlecht, aber wir haben mehr Erfahrung und Talent.“

Er selbst hat in Accra gespielt, andere waren in Vereinen in Italien aktiv. Er weiß die Möglichkeit, in einer Liga zu spielen, zu schätzen, auch wenn es jährlich nur 18 Spiele sind. „Das gibt uns Hoffnung und Unterhaltung“, sagt er. Der Wettbewerb liefert den Flüchtlingen keine sportliche Herausforderung, dafür aber das Gefühl, willkommen zu sein: „Alle Teams, gegen die wir gespielt haben, waren wirklich freundlich und nett. Wir hatten immer eine gute Zeit.“ Auch für die Hobbyliga ist der Verein ein Gewinn; Schönemann spricht von ausschließlich positiven Rückmeldungen. Durch die Teilnahme der Afrikaner habe man natürlich auch einiges an Aufmerksamkeit gewonnen, gibt er zu. „Alle haben uns sehr gut angenommen“, lobt Gabriele Kröger. Aber: „Jetzt mal Butter bei die Fische: Das sind, bis auf ein oder zwei Ausnahmen, keine Matches. Alle wünschen sich die Möglichkeit aufzusteigen.“ Rambo will nicht undankbar wirken, vergisst nicht, der HFFG, St. Pauli, dem Hamburger Berg oder der Kiezküche zu danken, aber auch er bemerkt vorsichtig: „Vielleicht ist das nicht die richtige Liga für uns.“

Ein pessimistischer Ausblick

Auch bei der Hobbyliga ist man sich bewusst, dass der Status Quo keine dauerhafte Lösung ist. Das Spielen außer Wertung in einer höheren Division kommt aber nicht infrage. „Das würde der HFFG nicht gerecht werden. Der Fairness halber müssen wir alle Teams gleich behandeln“, muss Schönemann die Hoffnungen des Teams enttäuschen. Zwar arbeite man an einer langfristigen Lösung, diese führe aber nur über den bürokratischen Weg. Heißt: Die Spieler brauchen Pässe. Immerhin müsse der Club kein eingetragener Verein sein, um am offiziellen Spielbetrieb teilzunehmen. Dies wäre eine Voraussetzung für die Teilnahme am Ligasystem des HFV, auf die Rambo hofft: „Unser Traum wäre es, in einer der regulären Amateurligen zu spielen und zu sehen, wie weit wir dort kommen würden.“ Diese haben er und seine Freunde nicht allein, in ganz Deutschland kämpfen Flüchtlinge gegen eine restriktive Bürokratie. Sie wollen vor allem eins: Durch den Sport ein ganz normaler Bestandteil der Gesellschaft sein.

Aber ist das möglich, auch nur für 90 Minuten, wenn es am Ende heißt: Muslimkickers Eins, FC Lampedusa 13? Gabriele Krögers Blick in die sportliche Zukunft ihrer afrikanischen Schützlinge ist aber pessimistisch: „Sie alle wollen beim HFV spielen, aber wir haben den Jungs vor kurzem klargemacht, dass es für sie nicht mehr funktionieren wird. Vielleicht haben es zukünftige Flüchtlinge aber dank unseres Engagements irgendwann besser.“ Man gibt den Kampf also nicht auf. Denn, so verrät schon das für den Verein entworfene Logo: Die Flüchtlinge des FC Lampedusa sind „Here to play“.

Text: Christoph Holzenkamp