„Integration der Leute ist wichtiger als eine Meisterschaft!“

Fuhlsbüttel-Coach Gerd Mewes im Gespräch

14. April 2016, 10:10 Uhr

Fuhlsbüttel-Trainer Gerd Mewes hält sein neues Werk „Fair Play mit Mördern – Die Knastkicker von Santa-Fu sind Diebe, Dealer, Mörder und Terroristen“ stolz in die Kamera. Foto: KBS-Picture.de

Seit 1980 ist Gerhard Mewes nun schon Cheftrainer eines ganz besonderen Klubs. Der mittlerweile 72-Jährige coacht Eintracht Fuhlsbüttel – besser bekannt als „die Knastkicker von Santa-Fu“. Im Hochsicherheitsgefängnis der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel lehrt Mewes den Strafgefangenen – darunter Mörder, Dealer und Terroristen – nicht nur das Fußballspielen, sondern hilft ihnen auch auf der sozialen Ebene weiter. „Ich sehe es heute noch als viel wichtiger an, jungen Leuten bei der Integration in der Zeit nach ihrer Haftstrafe zu helfen, als irgendeine Meisterschaft zu erringen.“

Vom Stacheldraht umzingelt – die Spielstätte von Eintracht Fuhlsbüttel. Foto: HFV

Abgeschottet hinter großen Mauern und von einem Stacheldraht: Für Gerd Mewes seit 36 Jahren das Betätigungsfeld als Fußball-Lehrer. „Der damalige Verbandssportlehrer des Hamburger Fußball-Verbandes, Günter Grothkopp, hat das Ganze damals angeleiert“, erklärt uns Mewes das Zustandekommen seines Trainer-Engagements im Gefängnis. „Ich war damals Mitarbeiter beim HFV, habe dort referiert und meine Lizenz gemacht. Es ist eine längere Geschichte …“, holt er aus und fügt an: „Der Plan war, aus mehreren Betriebssportmannschaften eine Mannschaft zu bilden, die sich mit Gäste-Teams messen kann. Hierzu war es wichtig, eine gewisse Ordnung in die Sache reinzubringen. Also war die Auswahl-Mannschaft für die Anstalt 2 Eintracht Fuhlsbüttel.“ Für den geeigneten Fußball-Trainer wäre solch eine Aufgabe sicherlich nichts gewesen – für Mewes hingegen eine große Herausforderung. „Man braucht gewisse Voraussetzungen dafür: soziales Engagement, Kenntnisse im Umgang mit Menschen, die nicht nur auf der Sonnenseite leben, sowie mit denen, die verstanden und angenommen werden wollten – trotz ihrer Straftaten.“ Dass sich Mewes nun schon in seinem 36.Trainerjahr bei den „schweren Jungs“ befindet, hat mehrerlei Gründe, wie er erzählt. „Die Situation im Gefängnis hat sich über die Jahre ständig verändert, so dass es immer spannend geblieben ist. Auch die sportliche Voraussetzung – ich war zu der Zeit ja noch als Vereinstrainer tätig – war etwas Besonderes. Es ging immer wieder darum, eine neue Mannschaft aufzubauen und zusammenzustellen. Man musste zwar Woche für Woche zu Punktspielen antreten – aber das Bild der Mannschaft hat sich stetig verändert. Diese Herausforderung hat für mich das Ewigkeitsdatum behalten.“

„Viele der Gefangenen haben mich ins Vertrauen einbezogen“

Bei Wind und Wetter: Gerd Mewes befindet sich nun schon in seiner 36. Saison als Cheftrainer von Eintracht Fuhlsbüttel. Foto: HFV

So groß die sportliche Herausforderung auch ist, so schwer scheint es, all die Strafdelikte einfach abzuschütteln und so zu tun, als wäre nichts passiert. In seiner Amtszeit hatte Mewes beispielsweise einen Terroristen in seinem Team, der an dem Anschlag aufs World Trade Center im September 2011 beteiligt war. „Als ich anfing, wollte ich es in den ersten Jahren gar nicht erfahren. Dann hat es sich aber mehr und mehr ergeben, dass es unter den Gefangenen welche gab, die sich selbst geäußert haben. Sie haben mir etwas zu ihrer Entwicklungsgeschichte erzählt, mich ins Vertrauen einbezogen und so bin ich natürlich auch neugierig geworden. Umso mehr habe ich mich mit den Hintergründen befasst – und das ist mir sicher nicht zum Nachteil ausgelegt worden. Aber in den Anfängen sah es für mich als unerfahrener Trainer natürlich nicht unbedingt so aus, dass ich all das locker wegstecken konnte. Aber im Laufe der Jahre habe ich durch meine Routine und das große Vertrauen, was ich unter den Gefangenen genießen durfte, immer mehr Bewegungsfreiheit und Gesprächsoffenheit erfahren. Zudem war ich von der sportlichen Kompetenz her auch nicht angreifbar. Wenn ein Trainer im normalen Spielbetrieb Fehler macht oder zu häufig hintereinander verliert, dann wird er sofort in Frage gestellt. All diese Dinge fanden dort nicht statt, weil die Mannschaft einerseits immer in der untersten Klasse Punktspiele bestritten hat und zum anderen habe ich durch das Vertrauensverhältnis zu den meisten Spielern eine unangreifbare Person dargestellt.“ All die Erfahrungen hat Mewes nun in einem Buch, das den Titel „Fair Play mit Mördern – Die Knastkicker von Santa-Fu sind Diebe, Dealer, Mörder und Terroristen“ trägt, niedergeschrieben. „Ich habe einige Personen ausgewählt, die stellvertretend für viele andere Leute stehen, die ich in all den Jahren kennengelernt habe, so dass man einen ganz kleinen Einblick bekommen kann, wie es in den Anfängen aussah, wie es inzwischen aussieht und wie sich all das über die Zeit hinweg entwickelt hat. Zudem habe ich auch versucht, die Frage zu beantworten: Wie kann es sein, dass ein Mörder mit einem Dealer und einem Terroristen Seite an Seite am Sonntag Punktspiele bestreitet?“

Seite 1 / 2 Nächste Seite >