Oberliga

Türkiyes „Spider-Man“ reicht nicht: Hübbe hadert – Paloma trotzt dem Wucher!

10. April 2024, 09:30 Uhr

Palomas Haron Sabah (li.), der einen im Abschluss rabenschwarzen Tag erwischte, im Duell mit Efe Yagmur. Foto: Hellwig/USC Paloma

„Wir haben in dieser Saison ja wirklich schon oft Chancen vergeben. Man steht dann da und hadert – und oftmals können Außenstehende das wahrscheinlich gar nicht glauben, wenn man so oft von vergebenen Torchancen redet. Aber heute war das wirklich ein Vergeben der Torchancen ‚at it‘s best‘“, traf Marius Nitsch den Nagel auf den Kopf. „Ich glaube, nach zwölf Minuten kann man sich nicht beschweren, wenn es 2:0 oder 3:0 für uns steht. Auch am Ende hatten wir riesen Räume. Man will dann ja auch nicht despektierlich sein, aber das war schon ein Spiel, wo man im Offensivbereich etwas fürs Torverhältnis hätte tun können“, konstatierte der Cheftrainer des USC Paloma – und musste im Endeffekt sogar um den Sieg bangen (alle Highlights im LIVE-Ticker).

„Wie lange haben wir noch?“, machte der Ramadan den Spielern des FC Türkiye – bis auf zwei Mann fasten sämtliche Akteure – zu schaffen. Auch dem angeschlagenen Sahin Taflan, der bereits nach einer guten halben Stunde mit einem leichten Schmunzeln nach der verbleibenden Spielzeit fragte. Kurz darauf pushte Michel Netzbandt sein Team: „Weiter, Türkiye – beißen!“, forderte der Torjäger – und trieb seine Mannen nach vorne. Wenige Augenblicke zuvor hatte Netzbandt das Spielgeschehen an der Brucknerstraße aber mal so richtig auf den Kopf gestellt. Einen langen Ball nahm der Goalgetter an der rechten Seitenauslinie mit der Brust mit und flankte aus gut 35 Metern vor das Tor. Elyesa Pekin kam nicht mehr ran, die Kugel titschte einmal auf – und schlug unter den Augen des verdutzt dreinblickenden Tjark Grundmann im langen Toreck an (28.)!

Braun gegen Paloma

„Das hatte sich absolut angedeutet“, konnte Nitsch hinterher darüber lachen. Obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt nicht zum Lachen zumute war. Allein in den ersten 21 Spielminuten musste Türkiye-Torsteher Tobias Braun gegen einen Distanzkracher von Moritz Niemann (6.), gegen den freistehenden Haron Sabah (9.) sowie gegen die Kopfbälle der gänzlich unbedrängten Luca Albrecht (20.) und Colin Blumauer (21.) sein ganzes Können aufbieten. Ebenfalls noch vor der Pause jagte Niemann einen Freistoß an den linken Pfosten (38.), ehe der im Abschluss äußerst unglückliche Sabah erneut blank vor Braun im Keeper seinen Meister fand (44.).

Art der Gegentore äußerst "ärgerlich" für die Gäste

Eine harmlos anmutende Flanke von Michel Netzbandt (li.) schlug zur großen Überraschung zur Türkiye-Führung im langen Eck ein. Foto: Hellwig/USC Paloma

Paloma hat von Anfang an Druck gemacht. Das wollten wir eigentlich auch machen, weil wir theoretisch nichts mehr zu verlieren haben und dementsprechend Gas geben wollten. Ich habe den Jungs gesagt, dass sie zeigen sollen, was sie können. Aber das ist überhaupt nicht aufgegangen. Ein paar Jungs waren heute überhaupt nicht auf dem Platz. Einige waren aber auch angeschlagen“, sprach Türkiyes Interimscoach Benjamin Hübbe auf dem ihm zur Verfügung stehenden 13-Mann-Kader an. Und dennoch stellte „ein glückliches Tor“ den Spielverlauf gänzlich auf den Kopf. „Ich habe den Jungs gesagt, dass sie sich nicht verstecken sollen und wir unsere Chancen kriegen werden. Aber Paloma war einfach spritziger und laufstärker. Schade, weil wir uns echt was erhofft haben“, so Hübbe.

Nicht nur schade, sondern aus Türkiye-Sicht „unheimlich bitter“ waren hingegen die Gegentore, die für die Wende sorgten. Vor dem 1:1 machte Oguz Koras mit einer verunglückten Klärungstat eine Flanke von Felix Spranger erst scharf, so dass Albrecht den bis dato unüberwindbaren Braun per Kopf doch überwand (61.). Keine fünf Zeigerumdrehungen darauf entschied Referee Sandro Birkenhof (SC Eilbek) – mit einigen sehr umstrittenen Entscheidungen, Situationen und Aktionen – auf Strafstoß für die Uhlenhorster. Dabei war Efe Yagmur nach einem ruhenden Ball deutlich vor Sabah an der Kugel. „Captain“ Niemann war’s egal – trocken und sicher zum 2:1 (67.)!

"Macht Michel das 2:2, erbunkerst du dir vielleicht ein Unentschieden"

„Natürlich war Paloma stark. Aber wenn man die Gegentore sieht, dann ist das schon sehr ärgerlich – vor allem das 1:2. Man hat gesehen, wie die Köpfe direkt runtergehen“, haderte auch Hübbe mit dem Elfmeterpfiff – und musste den jungen Yagmur („Ich habe nichts gemacht!“) bei der Auswechslung fast schon trösten. „Wenn du unten drin stehst...“, bewahrheitete sich eine Fußballer-Weisheit mal wieder. Und dennoch: Der Abstiegskandidat hielt leidenschaftlich dagegen – und hatte sogar das 2:2 auf dem Fuß. Nach einer Balleroberung von Taflan sah Luis Hacker in der Spitze natürlich Netzbandt starten. Dieser hatte nur noch Grundmann vor sich, wollte ihn tunneln, scheiterte aber am USC-Schlussmann (68.)! „Macht Michel das 2:2, dann erbunkerst du dir vielleicht mit etwas Glück ein Unentschieden und nimmst einen Punkt mit. Aber es sollte nicht sein“, trauerte Hübbe der Großchance hinterher.

"Wenn er den macht, kann es richtig schwierig werden"

Paloma Keeper Tjark Grundmann (re.) hatte am Dienstagabend nicht allzu viel zu tun, musste einmal hinter sich greifen und war gegen Netzbandt auf dem Posten. Foto: Hellwig/USC Paloma

Selbst Nitsch befand: „Ein Netzbandt kann immer aus nichts viel machen. Wenn er die Riesenchance macht, dann kann es auch richtig, richtig schwierig werden.“ Aber vor allem ärgerte er sich selbst über die Chancenverwertung seiner Mannen, „weil sich das einfach in solchen Spielen rächt. Und das haben wir in dieser Saison schon so oft erfahren müssen. Wir sprechen es an und haben auch Bock, Tore zu machen, aber drücken das Ding leider nicht über die Linie – und das ist einfach das Riesenproblem. Denn ich finde, man kann der Mannschaft nicht vorwerfen, dass wir nicht gut gespielt haben. Gerade in der Anfangsphase haben wir fußballerisch ein gutes Spiel gemacht. Deshalb ist es einfach bitter, dass man einen Gegner dann so im Spiel hält und der noch Hoffnung hat, hier was zu holen.“

"Das sah manchmal wie Spider-Man aus"

Vor allem dank Tobias Braun, der „einen überragenden Tag hatte und die Dinger hervorragend rausgeholt hat. Das sah schon manchmal wie Spider-Man aus. Respekt an ihn. Aber trotzdem hatten wir Situationen, wo wir in der zweiten Halbzeit schon auf der Torlinie stehen“, meinte Nitsch den Tausendprozenter von Sabah, der das leere Tor verfehlte (73.). „Das zieht sich leider durch die Spiele und man sieht es ja auch an unserem Torverhältnis, dass wir jetzt nicht die Offensivwucht der Liga sind. Andere Team machen in solchen Spielen und an so einem Tag vielleicht mal acht oer neun Dinger. Und die wären heute durchaus drin gewesen. Deshalb ist das schon ärgerlich und auch fahrlässig, dass wir so damit umgehen. Natürlich ist das ein Thema, das uns beschäftigt und woran wir auch arbeiten müssen.“

"Habe schon lange nicht mehr so einen FC Türkiye gesehen"

Maurice Schwäbe (li.) eilt Türkiyes Offensivakteur Yigit Yagmur hinterher. Foto: Hellwig/USC Paloma

Freuen konnte sich Nitsch derweil für Angreifer Albrecht, der nach einer Kopfballverlängerung von Lasse Blöcker aus abseitsverdächtiger Position auf Braun zusteuerte und diesen aus 17 Metern überlupfte – 3:1 (74.)! „Er hat aus seinem Chancenverhältnis recht viel gemacht. Das ist sehr positiv. Und natürlich freut es uns auch, dass wir gegen eine Mannschaft von unten drei Punkte geholt haben. Ich will da nicht zu kritisch sein. Auch wenn es höher hätte ausgehen können, ist es uns auch schon oft gelungen, das Ding zu vergeigen“, nahm Nitsch die drei Punkte gerne mit.

Während Hübbe nach seiner Rückkehr zu den Wilhelmsburgern nach fast zwei Jahren im ersten Augenblicke „erschrocken“ war, wie er anschließend zugab. „Ich habe in die Augen der Jungs geguckt und mich gefragt: Wo bin ich hier überhaupt?! Ich habe schon lange nicht mehr so einen FC Türkiye gesehen – gar nicht fußballerisch, sondern beim Blick in die Augen. Ich habe den Jungs gesagt, dass sie überragende Fußballer sind und einfach mal das machen sollen, was sie können“, hofft man noch darauf, irgendwie die Kurve zu kratzen. Wenngleich die Zeit und die Spiele dem FCT davonlaufen…

Autor: Dennis Kormanjos