Oberliga

Dassendorfer Irrsinn bei starkem AFC-Auftritt: Das größte Spektakel, was die Oberliga zu bieten hat!

16. März 2024, 19:33 Uhr

Pure Ekstase bei der TuS Dassendorf nach dem 4:3-Siegtreffer durch Kerim Carolus (3. v. re.) in letzter Sekunde. Foto: Bode

Mit Schaufeln, Besen und sogar Laubbläsern ausgestattet, befreiten Fynn Rathjen, Veli Sulejmani, Rasmus Tobinski und Pascal El-Nemr den Platz an der Adolf-Jäger-Kampfbahn am Freitagabend auch eine Stunde nach dem Abschlusstraining noch vom Wasser. Und dennoch machte am Samstagmorgen das Gerücht die Runde, dass das absolute Gipfeltreffen zwischen Altona 93 und der TuS Dassendorf nicht auf der „AJK“, sondern an der Sternschanze stattfinden würde, sollte das Geläuf auf der alt-ehrwürdigen Anlage des AFC nicht bespielbar sein. Gerüchten, denen Sportchef Mato Mitrovic uns gegenüber schnell eine heftige Abfuhr erteilte. Und so stieg das Spitzenspiel zwischen dem Ersten und dem Zweiten vor 2193 (!) Zuschauern an der Griegstraße – und es wurde ein denkwürdiges Aufeinandertreffen (alle Highlights im LIVE-Ticker)!

Dassendorf-Keeper Sebastian Kalk (re.) fliegt vergeblich. Der Freistoß von Gianluca Przondziono vom linken Strafraumeck schlägt im linken Knick ein. Foto: Bode

Waren es ein paar Freudentränen oder doch eher welche vor Erleichterung nach diesem besonders emotionalen Triumph für Thomas Seeliger? „Nicht für mich, sondern für uns“, entgegnete der sichtlich aufgelöste Cheftrainer der TuS Dassendorf. „Das sind doch die Spiele, für die man Fußball spielt! Diese Kulisse, diese zwei Mannschaften, die so eine Qualität haben. Es war für diese mega Kulisse in diesem tollen, alten Stadion mit diesen zwei Mannschaften, die so eine Qualität haben, ein geiles Spiel, in dem alle auf ihre Kosten gekommen sind! Und das hätte ich auch gesagt, wenn wir verloren hätten“, betonte Seeliger unmittelbar nach den an Spannung, Dramatik und Leidenschaft kaum zu übertreffenden 98 Minuten im Oberliga-Gipfel.

Ajkic verpasst die Entscheidung - Harnik steht goldrichtig

Pascal El-Nemr (li.) zeigt es an: "Seht her, mit dem Kopf", und dankt Vorbereiter Moritz Grosche (re.) nach dessen perfekter Flanke auf den durchstartenden "Air" El-Nemr. Foto: Bode

Als der Tabellenzweite beim Stand von 2:3 komplett aufmachte und alles nach vorne warf, da schon ein Unentschieden zu wenig für die Ambitionen der „Wendelwegler“ gewesen wäre, hätte Selim Ajkic komplett blank vor Sebastian Kalk auftauchend bereits den Deckel draufmachen müssen, vergab aber kläglich (90.). Auch Michael Gries konnte einen Zuckerpass von Lenny Glissmann nicht zur endgültigen Entscheidung nutzen (90. +2). Stattdessen geschah das, was kaum einer mehr auch nur im Ansatz für möglich hielt. Freistehend am zweiten Pfosten veredelte Martin Harnik eine Stafette über Sven Möller, Len Aike Strömer und Ashton Götz zum nicht mehr für möglich gehaltenen 3:3-Ausgleich (90. +3)! Doch damit nicht genug.

K. Carolus sorgt für Dassendorfer Ekstase: "Ein geiles Gefühl!"

Vehementer und robuster Kampf um den Ball zwischen Dassendorf-Tormaschine Martin Harnik (li.) und AFC-Abwehrchef Michael Ambrosius. Foto: Bode

Auch der Punkt war der TuS zu wenig – und so ging man weiter volles Risiko. Möller wurde beim Abschluss zur Ecke geblockt. Die folgende Hereingabe köpfte Abdul Saibou aus der Gefahrenzone, aber der nun starke Götz kochte Gries ab, machte einige Meter und brachte den Ball von links butterweich auf den Kopf von Oliver Doege. Die Kugel klatschte links oben an die Latte, fiel dem unbedrängten Kerim Carolus am „Fünfer“ auf den Kopf – und schlug dann im langen Eck ein, woraufhin es kein Halten mehr gab (90. +5)! Niedergeschlagene und am Boden kauernde Altonaer, voller Adrenalin steckende und in Jubelstürme ausbrechende Dassendorfer!

„So eine Moral zu zeigen, in so einer Situation nochmal so zurückzukommen, wirklich alles reinzuhauen und sich dann auch noch so dafür zu belohnen – das ist schon ein geiles Gefühl! Und ich glaube, das tut uns gut“, stand auch Seeliger noch immer unter Strom. Dass der Sieg für seine Dassendorfer angesichts der fußballerischen Darbietung über die gesamte Spielzeit sehr glücklich war, „da kräht morgen schon kein Hahn mehr nach, ob gerecht oder ungerecht. Das gibt es im Fußball sowieso nicht“, erwiderte er. „Wir haben wieder viele Fehler, aber auch vier Dinger gemacht. Das ist natürlich auch eine Qualität.“

TuS profitiert von Eigentor - und macht eklatante Fehler

Ein jubelnder Torschütze Lenny Glissmann (li.) und ein freudestrahlender Vorlagengeber Michael Gries nach dem vermeintlichen "Lucky Punch" zum 3:2. Foto: Bode

Für einen Herausforderer, der seine vermutlich letzte Chance wahrnehmen wollte, war das, was die TuS Dassendorf in den ersten 45 Minuten auf das Parkett brachte, allerdings zu wenig. Das Tor der Gäste zum zwischenzeitlichen Ausgleich: Ein reines Zufallsprodukt. Einen langen Ball von Möller auf die rechte Seite bekam Saibou gegen Mattia Maggio nicht unter Kontrolle. Der Dassendorfer zog mit einer Finte vorbei und brachte den Ball flach vor das Tor. Noch vor dem ersten Pfosten wollte Gideon Baur klären, produzierte aber eine Bogenlampe, die sich ins lange Toreck senkte – ein unglückliches Eigentor (12.)!

An beiden Altonaer Treffern mal wieder maßgeblich beteiligt: Der seit Wochen bärenstarke Pascal El-Nemr. Vor der Führung luchste er Jordan Brown die Kugel ab und zog am linken Strafraumeck einen Freistoß, den der ebenfalls glänzend aufgelegte Gianluca Przondziono aus 17 Metern mit viel Tempo und Präzision in den linken Giebel „streichelte“ (8.)! Die Antwort auf das 1:1 der TuS leitete Przondziono mit einer Seitenverlagerung ein, ehe Moritz Grosche – noch aus der eigenen Hälfte – „Air“ El-Nemr starten sah. Maximilian Ahlschwede kam nicht hinterher, Dassendorf-Keeper Sebastian Kalk dafür unnötigerweise weit aus seinem Kasten raus – und wurde von El-Nemrs „Header“ in den rechten Winkel überlupft (26.)!

"Das hat in der ersten Halbzeit nur eine Mannschaft gemacht"

„Fakt ist, dass ich mit der ersten Halbzeit nicht zufrieden war, weil wir einfach nicht den Biss hatten. Ich habe zur Halbzeit gesagt: Wenn man so ein Spiel hat, dass wir wie ein Pokal-Endspiel angehen müssen, dann muss ich erwarten können, dass ich Zweikämpfe annehme und auch führe. Das hat in der ersten Halbzeit nur eine Mannschaft gemacht – und das war Altona“, fand Seeliger klare Worte für den Auftritt seiner Mannen. Nichtsdestotrotz: „Die Tore dürfen so nicht fallen“, haderte er mit dem Zustandekommen. Vor dem 0:1 mit dem unnötigen Ballverlust und Foulspiel von Brown. Und vor dem 1:2 mit dem generellen Abwehrverhalten: „Da muss ich als Innenverteidiger einfach dran sein, dass der gar nicht zum Kopfball kommt. Unabhängig davon, dass der Torwart da natürlich nicht rauskommen darf. Das kann ja nicht sein, dass der kleinste Spieler ein Kopfballtor macht.“

Ampofo lässt Doppelchance aus - Harnik mit kuriosem Elfmeter

Die mustergültige Vorlage von Ashton Götz (Mi.), der Michael Ambrosius auf den Hosenboden setzt, zum 3:3-Ausgleich in der Nachspielzeit. Foto: Bode

In der zweiten Halbzeit habe er von seiner Mannschaft „mehr Aggressivität“ gesehen. „Wir haben uns gewehrt.“ Das war aber auch das Mindeste, was man vom Hamburger Serienmeister erwarten konnte. Und dennoch war der AFC nach wie vor das bessere und gefährlichere Team. Ezra Ampofo vergab gleich zweimal das 3:1 (55.). Die Folge: Moritz Grosche beging an der eigenen linken Strafraumgrenze ein unheimlich dummes Foul gegen Götz. Elfmeter. Und Harnik ließ sich nicht zweimal bitten – 2:2 (67.)! Allerdings war Altona-Schlussmann Dennis Lohmann derart außer sich, dass das Tor nicht hätte zählen dürfen und reklamierte lautstark, dass sich Harnik beim Strafstoß selbst anschoss und den Ball mit zwei Kontakten im Gehäuse unterbrachte. Referee Marco Kulawiak (SC Teutonia 10) hatte aber nichts zu beanstanden, so dass der Treffer zählte.

"Das darf nicht passieren - aber Altona war seit 30 Spielen ungeschlagen"

Vollstrecker Martin Harnik hatte noch nicht genug und holte den Ball nach seinem 3:3 sofort aus dem Netz, um das Spiel schnell zu machen. Foto: Bode

Altona zeigte sich erneut unbeeindruckt. Przondziono bestrafte einen schwachen Kalk-Abschlag beinahe aus 40 Metern – aber der Torsteher konnte den Einschlag gerade noch verhindern (75.). Und dann das: Lennard Sowah ging gegen Rasmus Tobinski sehr rustikal zu Werke. Das Spiel lief aber weiter, Strömer flankte in die Mitte – und Möller schädelte das Runde aus kurzer Distanz an den rechten Innenpfosten, ehe Harnik den Abpraller per Seitfallzieher an die Latte setzte (80.). 

Was für ein unfassbares Spektakel, in dem der Primus dank vier Jokern den vermeintlichen „Lucky Punch“ setzte. Armel Gohoua führte einen Einwurf schnell aus, Ajkic machte den Ball gut fest und bediente Gries, der postwenden auf Glissmann weiterleitete – 3:2 (84.)! „Der wird durchgespielt und immer wieder ist einer in seiner Position blank. Das darf so nicht passieren!“, schimpfte Seeliger. „Das sind Dinge, die mir natürlich nicht verborgen bleiben. Trotz dessen hat Altona seit 30 Spielen nicht mehr verloren. Da ist so eine Moral schon geil!“

"Ich habe dafür jetzt gerade auch keine Worte"

Eyke Kleine (li.) und Mattia Maggio beglückwünschen Dassendorfs freudestrahlenden Siegtorschützen Kerim Carolus, der kurz vor der Pause für den verletzten Ahlschwede kam. Foto: Bode

Denn dann kam das, was eben kaum einer der 2193 Zuschauer mehr für möglich hielt. „Es gibt so Spiele, wo es dann einfach so sein soll. Ich habe dafür jetzt gerade auch keine Worte“, brauchte AFC-Übungsleiter Andreas Bergmann erstmal ein paar Minuten. „Das müssen wir jetzt wegstecken und daraus lernen.“ Dabei zeigten seine „Jungs wieder eine gute Leistung“. Das große Manko: „Zum Schluss war es einfach ein bisschen zu wild. Da haben wir auch ein paar dumme Sachen gemacht.“ Kurz zusammengefasst: „Wir haben eine gute Leistung gezeigt, uns aber auch immer wieder selbst etwas weggenommen“, womit er auf das unglückliche Eigentor oder auch den „dummen Elfmeter“ ansprach. „Da muss man nur stehen – und es passiert gar nichts!“

Trotz dessen warf auch das den AFC nicht aus der Bahn. „Danach haben wir so viele Optionen, machen das 3:2 und müssen eigentlich das 4:2 machen.“ Stattdessen hieß es am Ende 3:4. „Es waren einfach ein paar Situationen, wo wir den Ball eher klären können, aber auf engerem Raum dumme Sachen gemacht haben oder zu naiv waren. Das müssen wir jetzt wegstecken. Wir haben auch gegen so eine Truppe gezeigt, dass wir nicht weit weg sind.“ Was die unglückliche Niederlage nun im Meisterschaftskampf bedeutet? „Wir wollten diese Herausforderung annehmen, gegen diesen Gegner bestehen und zeigen, was wir draufhaben. Um etwas anderes ging es für uns nicht. Dafür war das wirklich gut.“ Und selbst Bergmann musste schlussendlich eingestehen: „Das war das Spitzenspiel, was man erwarten konnte. Egal auf welcher Seite man am Ende war – für die Zuschauer war es zumindest spannend. Leider heute mit einer Dramatik gegen uns.“ Jetzt heißt es: „Einmal schütteln – und dann geht es weiter.“

"Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und alle Spiele gewinnen"

Ein komplett frustrierter, ungläubiger und niedergeschlagener AFC-Torwart Dennis Lohmann nach Schlusspfiff. Foto: Bode

Und Dassendorf? Durch den spektakulären „Dreier“ hat man den Rückstand auf einen Zähler verkürzt, wenngleich Altona mit einem Nachholspiel in der Hinterhand wieder auf vier Punkte enteilen kann. „Wir haben die drei Punkte mitgenommen, haben es aber immer noch nicht in der eigenen Hand“, bilanzierte Seeliger. „Denn wir müssen sowieso weiter unsere Hausaufgaben machen und all unsere Spiele gewinnen! Und dann kann man nur hoffen, dass Altona vielleicht mal Federn lässt.“ 

Lag’s an diesem Samstagnachmittag auch an den „Glückssocken“ von Liga-Manager Alexander Knull? Nach der 0:1-Pleite gegen den ETSV Hamburg kramte Knull die „Giraffensocken“ aus dem Regal, die ihre Wirkung in den ersten 45 Minuten verfehlten. Und so tauschte er das tierische Muster gegen die HSV-Strümpfe aus. Mit Erfolg. Ein seltener Glücksbringer…

Kerim Carolus nach seinem 4:3-Siegtreffer in letzter Sekunde im Interview:

Autor: Dennis Kormanjos