Oberliga

Stier: „Ich will meine eigenen Fußstapfen hinterlassen“

14. Juni 2023, 12:19 Uhr

Das Feuer ist zurück: Marco Stier möchte mit dem TSV Sasel in der kommenden Oberliga-Saison voll angreifen. Foto: Bode

Am 17. Juni startet der amtierende Hamburger Meister und Pokalfinalist TSV Sasel in die Vorbereitung auf die neue Oberliga-Saison 2023/24 – und das mit einem neuen Chefcoach: Nach dreijähriger Pause kehrt Marco Stier auf die Trainerbank zurück – und beerbt am Parkweg den nach neun Jahren freiwillig aus dem Amt geschiedenen Danny Zankl. Wir haben mit Stier über die neue Aufgabe, das Curslack-Theater, die Auszeit, die großen Fußstapfen seines Vorgängers, den Stier-Fußball und Ziele mit dem Titelverteidiger gesprochen…

FussiFreunde: Marco, drei Jahre ist dein letztes Trainer-Engagement bei BU her. Wie hast du die Zeit bis heute genutzt? Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?

Der glühende St. Pauli-Fan Stier habe die freie Zeit vor allem für die Familie genutzt. Foto: KBS-Picture.de

Marco Stier: „Mir kam die Zeit ehrlicherweise gar nicht so lange vor, was auch an der Corona-bedingten Pause lag. Dadurch war ich gar nicht so lange raus. Aber die Pause hat mir persönlich auf jeden Fall sehr gutgetan, weil diese zusätzliche Verantwortung und der Druck, den ich mir zumeist selbst mache, nicht da waren. Hinzukommt natürlich, dass man während einer Fußballer-Karriere privat viel zurückstecken muss und ich dementsprechend wenig Zeit mit meiner Frau und meinen drei Kindern verbringen konnte. Das konnte ich in der letzten Zeit tun, wir sind viel gereist – und das habe ich extrem genossen! Ich konnte auch meiner großen Leidenschaft, dem FC St. Pauli, nachgehen, war fast bei jedem Heimspiel, aber auch bei Auswärtsfahrten – ob bei Schalke 04, in Bremen oder auch in Düsseldorf – dabei. Das waren echte Highlights. Das Nonplusultra war aber, dass meine Familie und ich uns auch privat eine richtig schöne Wohlfühloase geschaffen haben.“

Im vergangenen Herbst schien dein Trainer-Comeback ja eigentlich schon perfekt. Du solltest den SV Curslack-Neuengamme übernehmen und vor dem Abstieg retten. Wie blickst du heute auf das geplatzte Engagement zurück?

Stier: „Das Thema habe ich ein paar Tage nach meiner Absage schon wieder aus meinen Gedanken gelöscht. Es ist halt im Leben so, dass es durch verschiedene Ansichtsweisen nicht passt – ob im Beruf oder eben auch beim Fußball. Ich freue mich jetzt einfach auf die Zukunft mit dem TSV Sasel und schaue keineswegs mehr zurück.“

Eine Frage muss dazu aber noch kommen. Einer der Gründe für die damalige Absage bei Curslack waren die beschränkten Trainingsmöglichkeiten. Wie verhält es sich damit in Sasel – und wie ist das mit deinen ambitionierten Plänen zu vereinen?

Im Saison-Endspurt schaute sich Stier (re.) - hier an der Seite von Hamm-Coach Sidnei Marschall - seine neue Mannschaft bereits das eine oder andere Mal an und machte sich ein Bild. Foto: noveski.com

Stier: „Das Thema an sich war mir damals total unangenehm und ist längst komplett abgehakt. In Sasel erwartet mich nicht nur eine ganz andere Situation, sondern dort erwarten mich auch ganz andere Rahmenbedingungen. Ich habe hier Top-Spieler, die zum Teil schon seit Jahren zusammenspielen. Die Jungs kennen die Abläufe. Die Spieler, die ich dazu geholt habe, sind top ausgebildet und wissen, wie sie sich in Räumen bewegen müssen. Der Verein tut sehr viel für mich und ist mir in vielen Punkten sehr entgegengekommen. Der Austausch untereinander mit sämtlichen Mannschaften ist ebenfalls sehr gut. Beim TSV Sasel ist alles gegeben! Hier kann ich mich voll und ganz darauf konzentrieren, die Mannschaft nach vorne zu bringen, weiterzuentwickeln – und sportlich erfolgreich zu sein.“

Am Parkweg trittst du in die großen Fußstapfen von Danny Zankl – gerade nach der gewonnen Hamburger Meisterschaft und dem Einzug in das Pokalfinale. Wie schwer wird es werden, diese zu füllen?

Stier: „Erst einmal möchte ich Danny, der Mannschaft, dem Staff, dem gesamten Verein und jedem, der seinen Teil dazu beigetragen hat, auch hier noch einmal meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Das war eine grandiose Saison – und ganz großes Kino! Was die Fußstapfen angeht, wird es natürlich schwer, diese zu füllen. Aber das ist auch gar nicht mein Ziel. Ich will meine eigenen hinterlassen und bin auch zu 100 Prozent davon überzeugt. Man kann und sollte das auch überhaupt nicht miteinander vergleichen. Denn die Konstellation ist eine ganz andere: Danny hat den Verein vor neun Jahren in der Landesliga auf den Kopf gestellt und eine Struktur geschaffen. Ich übernehme das Ruder bei einem gewachsenen und gefestigten Verein, der am oberen Level spielt. Das ist Dannys Verdienst. Natürlich würden wir uns alle freuen, an diesen Erfolg anzuknüpfen, aber eine Verteidigung der Meisterschaft ist keineswegs ein Muss. Und im Pokal gehört immer auch ein bisschen Losglück dazu. Das ist im Endeffekt eine Wundertüte. Aber wir haben die Qualität, um wieder ins Pokalfinale zu kommen.“

Um nochmal bei den Fußstapfen zu bleiben. Wie willst du deine eigenen ganz konkret hinterlassen?

Stier: „Jeder, der mich kennt, der weiß, dass ich jedes Spiel gewinnen möchte – und mir selbst viel Druck mache, um den Verein und die Mannschaft glücklich zu machen. Das beste Beispiel ist 2013: Jupp Heynckes gewinnt mit dem FC Bayern das Triple. Danach kommt Pep Guardiola und alle fragen sich: ‚Wie soll der das toppen?‘ Aber darum geht es gar nicht. Letztendlich hat er seine eigenen Fußstapfen hinterlassen, jeden Spieler besser gemacht und einen neuen Fußball-Stil entwickelt und verankert. Ich will mich damit überhaupt nicht mit Guardiola vergleichen, sondern nur sagen: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Denn wir haben einen etwas größeren Umbruch in der Mannschaft, auch an der Altersstruktur und an der Breite gefeilt. Dementsprechend trete ich nicht in Fußstapfen, sondern will meine eigenen hinterlassen, da ich genügend eigene Ziele habe und klar verfolge.“

Wie geht man denn jetzt als Trainer eine Saison an, die eben sportlich kaum zu toppen ist?

Marco Stier betont, nicht die Fußstapfen von Danny Zankl füllen, sondern seine eigenen beim TSV Sasel hinterlassen zu wollen. Foto: KBS-Picture.de

Stier: „Ich werde nicht daran gemessen, wieder Hamburger Meister zu werden und den Pokal zu gewinnen. Natürlich wäre das ein Traum! Aber letztendlich muss man dafür sehr hart, sehr akribisch und sehr detailliert arbeiten. Wir haben zehn Neuzugänge zu integrieren, den einen oder anderen Abgang zu verzeichnen. Der große Kern ist beisammengeblieben. Aber wir leiten einen gewissen Umbruch ein – da kann es auch mal holprig werden. Zumal die Vorbereitung sehr kurz ist. Aber ich definiere mich nicht darüber, ob ich das toppen kann oder nicht. Jeder der mich kennt, der weiß, dass ich jedes Spiel gewinnen will. Wir wollen oben angreifen, die großen Mannschaften ärgern – und das werden wir auch schaffen.“

Inwieweit wird sich der Stier-Fußball von dem Zankl-Fußball unterscheiden?

Stier: „Erst einmal ist jeder Trainer ein Individuum und hat seine eigenen Vorstellungen. Ich bin ein Trainer, der sehr großen Wert darauf legt, dass man absolut durchtrainierte und fitte Spieler hat, dass man in der Offensive richtig Wucht und Dynamik verkörpert. Dementsprechend haben wir unseren Kader auch so zusammengestellt. Die Zuschauer können sich darauf freuen, offensiven Power-Fußball zu sehen – mit viel Speed über die Flügel. Das ist Marco Stier-Fußball. So kennt man mich. Das möchte ich auch in Sasel umsetzen – und die Leute begeistern.“

Du warst bei BU schon ein Typ, der immer geradeheraus gesagt hat, was er denkt. Ein Typ, der auch polarisiert hat und angeeckt ist. Inwiefern ist das auch heute noch so – oder haben dich die vergangenen drei Jahre ohne Trainerposten etwas „ruhiger“ werden lassen?

Stier: „Ich bin selbstverständlich immer noch der gleiche Typ wie vorher. Denn ich war nicht nur in meiner BU-Zeit, sondern mein Leben lang so – auch schon als Spieler. So ticke ich einfach als Mensch. Es ist in der heutigen Gesellschaft einfach so, dass die Wahrheit nicht immer gerne gehört wird und die Wahrheit eben kein gern gesehener Gast ist. Aber nur dann, wenn man die Wahrheit ausspricht, kann man auch etwas verändern, verbessern, lernen – und eben gut miteinander auskommen. Ich bin kein Trainer, der um den heißen Brei herumredet, sondern das sagt, was Fakt ist. So haben mich viele Menschen kennen- und lieben gelernt – auch viele meiner Spieler, die mir nie von der Seite gewichen sind. Das zeigt mir, dass die Jungs diese Ehrlichkeit auch schätzen. Diese drei Jahre hin oder her – aber wie hat Mario Basler so schön gesagt: ‚Rückwirkend betrachtet würde ich zu 97 Prozent alles nochmal so machen wie damals.‘ Dem kann ich nichts hinzufügen.“

Du kommst nun als Trainer an den Parkweg, der eine Meisterschaft zu verteidigen hat. Ist das auch das klare sportliche Ziel für die kommende Spielzeit?

Er wolle mit Sasel "oben mitspielen und die großen Mannschaften ärgern", aber vor allem die Spieler besser machen, lautet Stiers Ziel. Foto: KBS-Picture.de

Stier: „Ich freue mich riesig, eine Meister-Mannschaft zu übernehmen und kann den Verantwortlichen auch nur meinen allergrößten Dank aussprechen, dass sie mir das Vertrauen schenken. Ich werde mit 100-prozentiger Leidenschaft versuchen, dieses Vertrauen zurückzuzahlen. Jeder Gegner wird natürlich besonders heiß und motiviert sein, gegen den amtierenden Meister zu spielen. Das macht die Sache nicht unbedingt leichter. Aber dafür lieben wir den Fußball. Wir wollen uns ja mit den Besten messen! Deshalb freue ich mich riesig auf die Saison. Das Ziel ist ganz klar, weiterhin oben mitzuspielen, die großen Mannschaften zu ärgern – und auch so weit wie möglich im Pokal zu kommen. Aber für mich als Trainer zählt nicht nur die Platzierung, sondern in erster Linie die Entwicklung jedes einzelnen Spielers. Das bedeutet nicht, dass ich nicht erfolgshungrig bin. Denn ich will immer jedes Spiel gewinnen.“

Viele Leistungsträger sind geblieben, einige Neuzugänge, von denen du auch welche schon aus BU-Zeiten kennst, dazugekommen: Wie siehst du euch für die Saison 2023/24 aufgestellt?

Am Parkweg strebt Stier eine langfristige Zusammenarbeit an - und schwärmt von den Verantwortlichen beim TSV. Foto: KBS-Picture.de

Stier: „Dass viele Spieler geblieben sind, freut uns ganz besonders! Das ist nicht selbstverständlich, wenn man über einen so langen Zeitraum mit einem Trainer zusammengearbeitet hat – und dieses Miteinander mit der Meisterschaft gekrönt wurde. Das zeigt auch, wie wohl sich die Jungs in Sasel fühlen – und wie sehr ich die Jungs von mir und meiner Philosophie überzeugen konnte. Die Spieler haben richtig Bock, auch mal etwas Neues kennenzulernen. Darüber freue ich mich total! Genauso über jeden einzelnen Neuzugang, der sich für den Weg mit uns entschieden hat, und auf die Zusammenarbeit mit meinen Co-Trainern Lenny Kratzmann und Marcel Meyer. Ich denke, dass wir den Kader etwas breiter aufstellen konnten – und haben sowohl Positions- als auch Spielsystem-spezifisch neue Spieler dazu geholt. Da wir nur eine kurze Vorbereitung haben, war mir auch wichtig, dass ich den einen oder anderen Spieler dazu bekomme, den ich bereits kenne und weiß, dass die Eingewöhnungszeit nicht allzu lange dauert. Diese Jungs wissen, was ich will, erwarte und wie ich spiele – und ich weiß, was ich an den Jungs habe. Das ist optimal – und macht es für mich etwas einfacher.“

Abschließend: Ist der TSV Sasel für dich ein langfristiges Projekt – oder soll es irgendwann höher hinaus gehen?

Stier: „Beide Seiten verfolgen das klare Ziel, langfristig zusammenzuarbeiten. Diese ganze Energie, die man dort reinsteckt, soll nicht nach einem oder zwei Jahren vorbei sein, um den nächsten Umbruch zu starten. Ich kann mir ein langfristiges Engagement sehr gut vorstellen. Denn ich muss ganz klar sagen, dass ich hier vom TSV Sasel super aufgenommen wurde! Natürlich herrscht eine gewisse Traurigkeit, dass Danny nicht mehr da ist. Aber ich habe in den Gesprächen und auch bei der Abschiedsfeier von Danny gemerkt, wie viele Leute zu mir gekommen sind und mir gesagt haben, wie viel Bock sie darauf haben. Alle sind voller Tatendrang und unterstützen mich in allen Bereichen. Der Verein ist top aufgestellt. Man hat in allen Bereichen seine Ansprechpartner, es herrscht eine unglaubliche Man- und Womanpower und jeder hat sein Aufgabenfeld. Genauso, wie ich mir das vorstelle! Deshalb verfolge ich ganz klar langfristige Pläne – auch wenn man im Fußball nie weiß, was kommt. Aber ich habe für zwei Jahre unterschrieben – und denke nur in und an Blau-Weiß-Rot!“

Autor: Dennis Kormanjos