Oberliga

Fußball-Wahnsinn am Bekkamp: Erst „Tiki-Taka und Jo-Jo“, dann anderthalb blaue Augen – aber „Dasse“ jubelt!

19. November 2023, 01:36 Uhr

Mit seinem Volley-Kracher zum 6:4-Endstand erstickte Dreifach-Torschütze Sven Möller (li.) die Hoffnungen von Cordi im Keime. Foto: noveski.com

Die Frage, ob er eine solche Partie und ein solches Ergebnis (alle Highlights im LIVE-Ticker) schon mal erlebt habe, hatte sich schnell erübrigt. „Das erinnert mich so ein bisschen an ein Spiel, als ich noch in Norderstedt Trainer war“, klärte Thomas Seeliger auf – und führte fort: „Da haben wir in der Regionalliga gegen Eichede gespielt, 4:1 nach einer Stunde geführt und hatten einen Mann mehr auf dem Platz. Dann kam ein langer Ball, unser Spieler hat den zum Torwart zurückköpfen wollen – aber der war draußen und es stand nur noch 4:2. Da habe ich zu meinem Co-Trainer gesagt: ‚Jetzt haben wir sie geweckt.‘ Und man glaubt es nicht: Kurz vor Schluss hieß es plötzlich 4:4.“ Aber: „Auch da haben wir am Ende noch einen draufgesetzt und mit 6:4 gewonnen“, schwelgte der Cheftrainer der TuS Dassendorf in alten Erinnerungen.

Sven Möller (re.) profitiert von einem kapitalen Bock von Nikola Prom und bringt seine TuS Dassendorf ganz früh auf die Siegerstraße. Foto: noveski.com

Erinnerungen, die sofort hochkamen, als Seeliger nach dem Abpfiff von Referee Marvin Vogt (SV Börnsen) erst einmal ganz tief durchatmen musste. „Ich hätte mir einen ruhigeren Abend gewünscht“, konnte er es schließlich doch mit Humor nehmen. Dabei drohte ihm und seinen „Wendelweglern“ ein ganz böses Erwachen! Gerade mal 21 Minuten waren am Bekkamp vorüber, als die TuS bereits mit 3:0 führte und die einzig sinnige Frage schien: Wie hoch würde der Oberliga-Primus bei den Runge-Rackerern triumphieren? Cordi wirkte völlig überfordert, teilweise hilflos und mit viel zu viel Respekt ausgestattet.

„Man zuckt natürlich kurz zusammen und überlegt, was man jetzt machen kann“, gestand Cordi-Coach Thomas Runge, der bereits früh Ersatzspieler zum Warmlaufen schickte. Mit zwei herrlichen Flanken sorgte der genesene Rinik Carolus für einen beruhigenden Vorsprung der TuS. Erst gab Nikola Prom eine überaus unglückliche Figur ab und „schenkte“ Sven Möller den Führungstreffer (4.), ehe Mattia Maggio eine butterzarte Carolus-Hereingabe wuchtig und mit purer Entschlossenheit unter die Latte nickte (17.)! Als Lennard Sowah nach einer Ecke aus dem Gewühl heraus im x-ten Anlauf das Runde ins Eckige beförderte, schien der Drops bereits gelutscht (21.)!

Sowah verteilt Geschenke und bringt Cordi zurück

Mit einem wuchtigen Kopfball in den Giebel erhöhte Mattia Maggio (re.) auf 2:0 für den Oberliga-Spitzenreiter. Foto: noveski.com

Zumal Len Aike Strömer nach einer Möller-Ecke sogar auf 4:0 stellte (27.). Aber die Fahne von Assistent Enrico Zielinski war oben. Eine glasklare Fehlentscheidung, da der Ball noch von einem Cordi-Kopf verlängert wurde und Strömer nicht ansatzweise im Abseits stand. Ein Umstand, der zu jenem Zeitpunkt allerdings kaum von größerer Tragweite war. Zu einseitig war das Spiel bis dahin. Doch dann passierte das fast Unmögliche – unter gütiger Mithilfe der Gäste!

3:0-Schütze Sowah servierte den haushoch unterlegenen Hausherren das Spielgerät gleich dreimal ohne jegliche Not und ohne jeglichen Gegnerdruck auf dem Silbertablett. Baran-Musa Kocuk aus größerer Entfernung (37.) und Arbes Tahirsylaj – nach Zuspiel von Muhamed Ajruli – mit einem abgefälschten Schuss (45.) sagten artig „Danke“! Eigentlich hätte man Sowah zur Pause erlösen müssen. Doch Seeliger zeigte seine ganze Empathie. „Eine Garantie hast du für nichts. Aber ich habe ihn gefragt, ob er das hinkriegt und ob er klar im Kopf ist. Das hat er bejaht und es dann auch gut hinbekommen. Aber das ist schon eine Situation, mit der du klarkommen musst.“ Doch damit nicht genug. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte bediente Noah Dahaba rechts im Sechzehner den alleingelassenen Ajruli – 3:3 (45. +2). Was für ein unfassbares Comeback!

"Lädst den Gegner mit so krassen Fehlern ein"

Das vermeintliche 0:4: Len Strömer (2. v. li.) soll im Abseits gestanden haben. Eine klare Fehlentscheidung - zumal der Ball auch noch von Cordis Bulut (Mi.) verlängert wurde. Foto: noveski.com

„Die Jungs spielen mit Cordi 35 Minuten lang Tiki-Taka und Jo-Jo“, schlug Seeligers Gemüt schnell von purer Begeisterung in blankes Entsetzen um. „Dann haben wir wieder angefangen, hintenrum so ein bisschen viel klein-klein anstatt klare Dinger zu spielen. Und dann machst du solche krassen Fehler und lädst den Gegner im Grunde genommen zum Toreschießen ein. Es war ja nicht so, dass sie uns ausgehebelt haben, sondern alles Dinger, die aus unseren Fehlern resultiert sind. Das ist schon bitter, weil eigentlich alles nach Plan lief. Und dann war ja klar: Du startest wieder bei 0:0, bist als junge Mannschaft auch vom Kopf her wieder voll im Spiel und glaubst wieder an dich, dass da mehr geht“, so Seeliger mit versteinerter Miene.

"Hat etwas gedauert, bis die Jungs gemerkt haben, dass Dassendirf hinten nicht so stark ist"

Spiel gedreht! Doppeltorschütze Baran-Musa Kocuk (Mi.) ist nach einem ruhenden Ball zur Stelle und macht aus einem 0:3 ein 4:3 für Cordi. Foto: noveski.com

Währenddessen verriet Runge: „Wir haben uns vorgenommen, nicht hinten dicht zu machen, sondern frech zu sein. Wir haben aber ein bisschen gebraucht, um ins Spiel zu kommen, machen doofe Fehler und hatten vielleicht auch etwas viel Respekt zu Beginn. Es hat ein bisschen gedauert, bis die Jungs gemerkt haben, dass nach vorne etwas geht und Dassendorf hinten nicht so stark ist. Und die Jungs sind immer besser ins Spiel gekommen. Wir haben weitergemacht und ich war auch ganz ruhig“, verfiel der erfahrene Übungsleiter auch nach dem 0:3-Rückstand nicht in Hektik. „Spielerisch geht bei uns nach vorne schon die Post ab. Das wird immer besser von Spiel zu Spiel.“

Und es sollte auch am Samstagabend noch viel besser werden. Nach einem Freistoß von Eren Eröksüz kam die Kugel über Umwege zu Kocuk – aus 0:3 mach 4:3 (60.)! „Das Tor darf so auch nicht fallen. Aber ich habe in der Halbzeit schon gesagt: ‚In solchen Momenten zeigt sich, ob ihr eine Truppe seid und einen Arsch in der Hose habt, um den Schalter wieder in die andere Richtung umzulegen.‘ Und am Ende zeigt das auch eine Qualität, dass man doch nochmal eine Schippe drauflegen kann“, brachte Seeliger unmittelbar nach dem Rückstand den angeschlagenen Martin Harnik von der Bank (63.). „Das war eigentlich gar nicht geplant, weil er noch nicht bei 100 Prozent war. Aber wir wissen einfach um seine Qualität und um seine Präsenz. Dafür hat er einfach die Erfahrung und die Klasse – und natürlich hat das der Mannschaft gutgetan.“

Harnik besorgt abermalige Führung

Ein strafbares Handspiel von Maximilian Ahlschwede (Mi.)? Es hätte beim Stand von 4:3 Elfmeter für Cordi und die Chance auf das 5:3 geben können. Foto: noveski.com

Auch Runge konstatierte: „Man hat selbst bei Dassendorf gemerkt, dass die dann viel selbstsicherer wirken, weil man einen hat, der es schon richten wird. Das ist dann schon ein Unterschied.“ Und der an Adduktorenproblemen leidende Ex-Profi richtete es – nachdem Möller in Folge einer Strömer-Ecke, bei der Cordi-Keeper Jan Hoffelner eine ganz schlechte Figur abgab, bereits auf 4:4 gestellt hatte (70.). Eine mustergültige Vorarbeit von Okan Kurt veredelte Harnik zur 5:4-Führung (77.), ehe Möller mit einem satten 15-Meter-Volley seinen Dreierpack und den 6:4-Endstand perfekt machte (80.)! „Es ist nochmal gut gegangen. Aber vier Gegentore darfst du nicht kriegen“, resümierte Seeliger.

"Wenn man ein Spiel von 0:3 in ein 4:3 dreht, dann tut das schon weh"

Das 4:4! Nach einer Strömer-Ecke sieht Cordi-Keeper Jan Hoffelner (li.) alles andere als gut aus, boxt am Ball vorbei - und Sven Möller bedankt sich artig. Foto: noveski.com

Das Fazit von Runge: „Wir sind unserer Linie treu geblieben, haben bis zum Schluss weitergespielt und alles versucht. Das ist auch meine Philosophie, nach vorne attraktiven Fußball zu spielen. Jetzt müssen wir es nur noch hinbekommen, hinten auch stabiler zu stehen.“ Zwar plane man „gegen Dassendorf natürlich keine drei Punkte ein. Da muss man schon realistisch sein. So weit sind wir nicht.“ Nichtsdestotrotz: „Wenn man das Spiel nach einem 0:3 in ein 4:3 dreht, dann tut das schon ein bisschen weh. Aber man muss auch ehrlich sein, dass wir hintenraus noch nicht die Klasse haben, um das Ergebnis über die Zeit zu bringen. Die sind einfach zu stark und auch eiskalt bei jeder Aktion im Strafraum. Das ist schon eine Qualität. Das muss man einfach sagen.“

Eine Qualität, die Dassendorf am Ende mit einem fetten blauen Auge davonkommen ließ. „Am Ende freut es mich richtig, dass wir aus der schwierigsten Situation so zurückgekommen sind, das Ding noch gedreht und gewonnen haben“, fielen Seeliger diverse Steine vom Herzen.

Autor: Dennis Kormanjos